Innehalten, nachdenken und sich fragen: Was kann ich selbst dazu beitragen? In seiner Wunderkammer „Heroes of Peace“ gibt André Heller einen Denkanstoß, den er – einmal mehr – sensationell inszeniert hat.
„Und wir waren alle vollkommen 'gestoned' von dem Erfolg“. Das waren die Worte André Hellers in einem Interview – angesprochen darauf, ob er sich jemals hätte träumen lassen, dass die von ihm ersonnenen Swarovski Kristallwelten heute (mit Besuchern aus über 60 Ländern) zu den meistbesuchten Sehenswürdigkeiten Österreichs zählen.
Ursprünglich hatte man den Multimediakünstler 1995 zum 100-jährigen Swarovski-Firmenjubiläum für ein Feuerspektakel angedacht. Heller selbst brachte dann jedoch die Idee eines „Firmenmuseums“ ins Spiel, die zündete. Der Rest ist Erfolgsgeschichte. Und zwar eine, die nicht aufhört, weil sich die Welt der Wunder in Wattens immer wieder verwandelt, weil sie gerne überrascht oder mit Neuem aufhorchen lässt.
So kam auch Maestro Heller 22 Jahre nach der Eröffnung der Swarovski Kristallwelten zurück und schuf im Herbst 2017 einen weiteren Raum im Riesen, von dem er sagt, dass er „über das Staunen zum Nachdenken anregen soll, weil er sich einem Thema widmet, das uns alle beschäftigt, indem es in unser Leben hineinregiert, unsere Leben gefährdet (…) und heute das zentrale Thema des Planeten ist: Friede.“
Neue Wunderkammer als Denkanstoß
Ich betrete ihn also gespannt, Hellers Raum „Heroes of Peace“, der der größte in den Swarovski Kristallwelten ist und dramaturgisch nicht leicht zu bespielen war, weil sich darunter der Kristalldom mitsamt Kuppel befindet und der Boden daher gewölbt ist.
Auf einer geschwungenen Wand, die mich an eine Filmrolle erinnert, wie man sie noch aus analogen Fotoapparaten kennt, sind weltbekannte Friedensbotschafter auf sich überblendenden Schwarzweiß-Bildern zu sehen: Bertha von Suttner beispielsweise, die eine leidenschaftliche österreichische Pazifistin war und 1905 als erste Frau den Friedensnobelpreis erhielt. John Lennon und seine Frau Yoko Ono, die sich während des Vietnamkrieges 1969 sieben Tage lang in einem Hotelbett in Amsterdam verschanzten, um für den Frieden zu demonstrieren. Natürlich ist auch Nelson Mandela abgebildet, der wichtigste Wegbereiter im Kampf gegen die Apartheid in Südafrika, wofür er 1993 (nach 27 Jahren im Gefängnis) den Friedensnobelpreis bekam. Oder die junge Kinderrechtsaktivistin Malala Yousafzai aus Pakistan.
Rechts draußen malt ein Mann Blumen in eine Blumenvase hinein. Das ist ja Picasso! Er wirkt in seinem Tun so echt, dass man versucht ist, zu fragen: Großer Meister, was machen Sie denn hier? Aber natürlich ist klar, warum Picasso im Raum ist: Weil er nicht nur ein großartiger Künstler, sondern auch ein Friedensbotschafter war. Das Motiv der Taube, die Picasso 1949 für den Weltfriedenskongress in Paris entwarf, wurde weltweit zum Friedenssymbol.
Es ist schön, so viele Persönlichkeiten der Weltgeschichte, die sich leidenschaftlich für den Frieden stark gemacht haben, in einem Raum vereint zu sehen. Das verleiht ihm eine besondere Energie. Und während ich darüber nachdenke, was der Unfriede in der Welt derzeit so alles anrichtet und ein Gefühl der Dankbarkeit aufkommt, auf friedlichem Boden geboren worden zu sein, biege ich um die Ecke, weil ich dahinter Stimmen ausmachen kann. Und da ist er nun, der geniale gestalterische Höhepunkt in diesem Raum.
Spektakuläre lebensgroße Hologramme
Auf einer Bühne steht Mahatma Gandhi. Er sendet eine kurze Botschaft auf Englisch und zerstäubt sich anschließend in einen Schwarm Friedenstauben, die davonflattern. Danach tritt ein zerzauster Albert Einstein auf, nach ihm Martin Luther King und schließlich (in ihrer farbenfrohen Maya-Tracht) die guatemaltekische Menschenrechtsaktivistin Rigoberta Menchú. Auch sie sprechen zu den Besuchern, inspirieren sie, teilen Weisheiten aus ihrem Leben und lösen sich in Friedenstauben auf.
Sie sind ein Geniestreich, die Hologramme der bekannten Friedensstifter, die den Eindruck erwecken, als wären alle vier leibhaftig im Raum. Niemand geringerer als der deutsche Multimedia-Spezialist Uwe Maass hat diesen „Heroes of Peace“ mittels 3-D-Projektion Leben eingehaucht. Für ihren Auftritt (außer für jenen von Rigoberta Menchú, die ja noch lebt) wurden Körperdoubles benötigt, für die es eigene Castings gab. Ihre Stimmen sind original. Die Umsetzung der Hologramme war nicht einfach, weil es trotz der bekannten Technik auch immer wieder einmal Probleme gab. Aber der Weg ist das Ziel - und das Ergebnis höchst eindrucksvoll.
Friedenssymbole in Kristallen
Gibt es auch Kristall in diesem Raum? Ja, drei wunderbare Stücke, die mit 20 Zentimetern Durchmesser die größten sind, die Swarovski herstellen kann und in die ebenfalls (und erstmals) Hologramme eingearbeitet sind: Im ersten Kristall dreht sich das vom britischen Künstler Gerald Holtom entworfene „Peace-Zeichen“. Durch den zweiten Kristall flattert eine Friedenstaube und im dritten ist das Wort „Frieden“ in immer wieder verschiedenen Sprachen zu sehen.
Dahinter verlässt man den Raum. Bewusster, überlegter, mit welchen Gedanken und mit welchem Gefühl?
In Rückmeldungen, welche Wunderkammern ihnen am besten gefallen, geben Kristallwelten-Besucher auch immer wieder „Heroes of Peace“ an. Insofern darf man hoffnungsfroh sein, dass der Denkanstoß, um den es André Heller in diesem Raum geht, funktioniert. Im besten Fall denken Besucher (wie Heller es sich wünscht) sogar darüber nach, „was jeder einzelne zum Frieden beitragen kann“. So gesehen ist dem großen Künstler in Wattens einmal mehr ein großer Wurf gelungen – und ein sehr beherzter dazu. Prädikat absolut sehenswert.
Vom Schrei nach dem Frieden ist hier die Luft ganz schwer. Der Friede, der Friede, wo kommt denn der Friede her? Der kommt nicht vom bloßen Fordern, der kommt nur, wenn wir ihn tun, und wenn in unseren Seelen die Mörderwaffen ruh‘n. Wenn wir Gewalt verweigern, in Sprache, Not und Streit, wenn wir als Haltung lieben, Zeit unserer Lebenszeit. (Liedtext „Vom Schrei nach Frieden“, André Heller)
Tipp:
Wir haben André Heller zur Eröffnung von „Heroes of Peace“ zum Interview getroffen und durften ihm ein paar spannende Fragen stellen: >> Zum Video-Interview
Serie: Die Wunderkammern in Nahaufnahme
In unserer Serie „Nahaufnahme“ werfen wir einen genaueren Blick in einige Wunderkammern – und dahinter! Freut euch auf interessante Background-Informationen, Spannendes zu den Künstlern und so manche Anekdote.