Unendlichkeit hautnah
Es ist beeindruckend: In Yayoi Kusamas Wunderkammer hat man tatsächlich das Gefühl von Unendlichkeit, ohne Grenzen, mit tausendfachen Spiegelungen in jede Richtung.
Täglich 9:00 - 19:00 Uhr,
Letzter Einlass 18:00 Uhr
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Im ersten Moment scheint die Wunderkammer von Brian Eno nicht wirklich spektakulär. Weit gefehlt! Schon einige Momente später wird klar: Dieser Raum ist eine gänzlich geniale Inszenierung. Und eine große Liebesgeschichte.
„Schau mal, Papa, wie schön!“, ist das Erste, was ich höre. Ich bin gerade in der Wunderkammer 55 Million Crystals angekommen. Ein abgedunkelter Raum, sanfte, sphärische Musik, eine farbenfrohe Ornamentik auf Screens an der Wand – und an drei Stellen im Raum weich gepolsterte Bänke, von denen ich mir gleich eine schnappe, um mich niederzulassen.
Ich atme durch. Wenn ich länger gestanden – oder in diesem Falle bereits durch 13 Wunderkammern der Kristallwelten gegangen bin – setze ich mich auch gerne wieder einmal hin. Und wie von Zauberhand lässt mich diese 14. Kammer schlagartig „runterfahren“, ich fühle mich sehr plötzlich sehr entspannt. Hier herrscht hemmungslose Harmonie.
Brian Peter George St. John le Baptiste de la Salle Eno heißt der (heute 70-jährige) britische Künstler und Musikproduzent, der sich die Wunderkammer „55 Million Crystals“ ausgedacht hat, besser bekannt ist er als Brian Eno.
Man bezeichnet ihn auch gerne als „Pop-Mastermind“. Musiker möchte er nicht genannt werden. Er beherrsche kein einziges Instrument, sagt er in einem Interview. Er wollte allerdings schon immer Musik machen und habe sich daher schon sehr früh mit Techniken und Prozessen beschäftigt, die Klänge manipulieren.
Als Produzent verhalf er in dieser unverwechselbaren Art ganz Großen zum Erfolg: den Talking Heads, U2, David Bowie, Paul Simon oder Depeche Mode.
Er hat auch die unverkennbare Startmelodie von Windows 95 komponiert. Und die Musik für den mit 595 Spiegeln besetzten Kristalldom der Swarovski Kristallwelten.
Die Geschichte, die Brian Eno über seinen Raum im Riesen erzählt, mutet wie ein Märchen an: „Eines Tages trafen sich Malerei und Musik und verliebten sich. Sie hatten 55 Millionen Kristallkinder, jedes für sich einzigartig.“ Und es ist einzigartig, was sich in Eno’s Wunderkammer abspielt. Obwohl es das kaum wahrnehmbar tut. Das zeigt die Frage, die ein Besucher jetzt gerade seiner Frau stellt: „Passiert hier irgendwas?“
Ja, es passiert was. Und sogar ziemlich viel! „55 Million Crystals“ verwandelt warme Klänge, Licht, von Hand gemalte, bunte Bilder und Computertechnik in ein grandioses Gesamtkunstwerk, das sich unmerklich, jedoch permanent verändert. Irgendwie kommt es mir vor, als säße ich in einem kunstvollen Kaleidoskop oder in einer kleinen Kirche mit Buntglasfenstern – oder mitten in einem Mosaik. Und das Spektakuläre daran: Das, was ich in diesem Augenblick sehe, hat kein anderer vor mir so gesehen und wird auch kein anderer unmittelbar nach mir so wahrnehmen. Bis dieses Bild (wenn überhaupt) nämlich wiederkehrt, werden mehrere hundert Jahre vergehen.
So gesehen schafft Brian Eno in seiner Wunderkammer ein wirkliches Wunder: In jedem verstreichenden Moment ein Kunstwerk, in vielen Jahren also unendlich viele davon. Hier lässt sich auch der Bogen zu Kristall spannen, das in seiner unerschöpflichen Vielfalt schon immer als Synonym für Unendlichkeit, auch für Ewigkeit galt.
Und wie interpretiert Brian Eno selbst seinen Raum? Er sagt: „Ich ordne ‚55 Million Crystals‘ zwischen einem Gemälde, das niemals seinen Platz verändert, und Musik ein, die sich fortwährend verändert. Ich möchte Räume schaffen, die sich wie Musik anfühlen. Ich möchte Dinge erschaffen, die wie Musik für die Augen sind. Und ich möchte Musik im Raum ausbreiten – in allen drei Dimensionen, und in Farbe.“
Und es ist nicht eine Farbe, die diesen Raum durchflutet, es sind die schönsten und leuchtendsten Farbkombinationen, die man sich vorstellen kann. Pinkes, Grünes, Violettes, Gelbes und Blaues sehe ich in diesem Moment. Die unterschiedlichsten Formen, abstrakte Bilder, Gepinseltes, Gemaltes und Gepunktetes. Kreuze kann ich ausmachen, und Gitter. Und zarte Blätter, die aussehen wie ein Seerosenteich.
Ja, man muss schon dranbleiben, um das sich Verändernde zu erkennen. Vermutlich ist es auch genau das, dieses langsame Fließen und diese subtile Verwandlung der Malerei, wie auf Händen getragen von der Musik, die erklärt, warum „55 Million Crystals“ eine sehr meditative Angelegenheit ist: Hier können Gedanken und Gefühle spazieren gehen. Auch ein besonderes Bouquet an Düften trägt dazu bei: Lavendel, süße Orange, Patschuli, Ylang Ylang, Zedernholz und Jasmin verschmelzen hier drinnen verführerisch. Vielleicht sind die ja auch alle ineinander verliebt.
Jetzt kommt gerade eine dreiköpfige Familie in den Raum, Eltern mit Kind. Das kleine Mädchen saust direkt zur Installation an der Wand, legt seine Hände darauf, als wolle es das Gesehene ertasten, tritt wieder zurück und setzt sich zu seinen Eltern auf die Bank. „Das ist mein Lieblingsbereich!“, ruft es. Und ich denke mir: „Einer meiner Lieblingsbereiche im Riesen ist Brian Eno’s kontemplative Wunderwelt mit Sicherheit auch.“
In unserer Serie „Nahaufnahme“ werfen wir einen genaueren Blick in einige Wunderkammern – und dahinter! Freut euch auf interessante Background-Informationen, Spannendes zu den Künstlern und so manche Anekdote.
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